26. April 2023: Aktuelle Debatte — Springer-Chef zeigt elitäre Verachtung Ostdeutscher – Geringschätzung und Benachteiligung des Ostens endlich beenden!“
Meine Rede zur Aktuellen Debatte der Linksfraktion im Sächsischen Landtag: „Springer-Chef zeigt elitäre Verachtung Ostdeutscher – Geringschätzung und Benachteiligung des Ostens endlich beenden!“:
Anrede
„Ja, wir haben den Osten zur Aktuellen Debatte gemacht. Und ja, ich weiß, dass es Leute nervt. Und ja, auch ich bin genervt, aber vor allem von der Art und Weise wie die Debatten überall geführt werden. Davon, dass Leute wie der Springer-Konzern so eine große Macht haben und seit Jahrzehnten dazu beitragen, die Stimmung zu vergiften. Davon, dass genau die Döpfners über Jahre hinweg eine Ossi-Feindlichkeit propagieren, die seinesgleichen sucht. Davon, dass in meiner Welt normalerweise derartigeÄußerungen eigentlich gar kein Niveau sind, was einer Debatte wert wäre und es dennoch einen riesigen Aufschrei gab. Und dann komme ich zu dem Schluss, dass die ganze Debatte nicht zeitgemäß, aber doch nötig zu sein scheint.
All das ist zutiefst frustrierend und ich merke, wie widersprüchlich auch ich reagiere. Jedes Mal fühle ich mich in eine Position gedrängt, die entweder aus Verteidigung oder Kritik besteht. Mein Blick, und ich bin mir sehr sicher, dass es vielen Ostdeutschen genauso geht, ist ein einziger Widerspruch. Und ich denke, das ist in Ordnung. Das gehört zu meiner Biografie. Das gehört zu einer ostdeutschen Biografie. Dazu gehört auch das Leben und die DDR. Eine Erzählung, die heute geprägt ist, von Begriffen wie Stasi, Honecker, Schießbefehl, lächerlich oft Banane, Sächsisch und Trabi. Die Gegenerzählung, Ostalgie genannt, ausschließlich positive Erinnerungen an die Zeit der Sorglosigkeit und sozialen Sicherheit, ein Ausdruck der Definition von Glück. Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. War sie auch vor über 30 Jahren nicht. Widersprüche wie Verzweiflung und Hoffnung gehen Hand in Hand.
Wir brauchen über die Zukunft nicht reden, wenn wir die Geschichte nicht verstanden haben. Es gehört zur Wahrheit der verpassten Chance dazu, dass sich zwei Staaten nicht auf Augenhöhe vereinigt haben. Es gehört auch dazu, dass im Westen nach dem Krieg die Demokratisierung mit Wohlstand einherging. Im Osten nach ´89 war sie mit häufigem Verlust von Status und Wohlstand verbunden. Und dass eine echte Transformation in ein geeintes Europa leider auch ein Elitenprojekt geblieben ist.
An der Stelle geht es immer auch um das „Über-Sich-Selbst-Nachdenken“ – auch hier im Hohen Hause. Das würde einigen gut zu Gesicht stehen: Was war das, diese DDR? Was war das in den letzten 30 Jahren nach der Wiedervereinigung? Was sagt das über die Demokratie heute?
Und dann, Döpfners Zuschreibung: „Die kriegen das im Osten nicht hin.“ Wer urteilt hier eigentlich über wen? Ich darf sagen, dass wir im Osten ein Demokratieproblem haben. Ja.
Wer die Demokratiefeindschaft unbeirrt der DDR zuschreibt, begeht große Fehler:
1. Er negiert die im Osten lebenden Menschen, indem er die Erfahrungen, die sie seit 1989 sammelten, für irrelevant erklärt; so, als hätte das Sein nicht auch das Bewusstsein bestimmt.
2. Die Biografien in der DDR sind für die Leute nicht nur widersprüchlich, nicht nur Ballast, der weg muss.
3. Werden Ungerechtigkeiten, Kränkungen, die mit dem Umbruch einhergingen, zahllose Menschen aus der Bahn warfen, sie zu Bürgern zweiter Klasse stempelten, gerechtfertigt. Ich warne davor, das notorisch auszublenden.
Es sind Wunden, die tief sind. Frust der Leute, der tief sitzt. Und die Sorge, dass sie den Frust an ihre Kinder weitergeben und diese zu Anti-Demokraten werden. Etliche Unternehmen produzieren neue Ideen mit modernster Technik und sind wettbewerbsfähig. Oft spielt da Ost/West keine Rolle- in Kunst und Kultur wird ein neues, ein anderes, ein progressives Bild vom Osten gezeichnet. Fast überall sehen wir sanierte Häuser und Städte, eine neue Infrastruktur. Und beim Gucken fragen sich die Leute, wem gehört das und wer verfügt effektiv darüber. Nicht dem Osten. Daran wird sich auch absehbar nichts ändern. „Aufholen, ohne einzuholen“. Das kann auch durchaus mit „politischem Verdruss“ vereinbar sein. Und dadurch fragen sich immer mehr Menschen, wie kann es sein, dass wir strukturell aufholen, man uns kulturell aber noch immer als nicht zugehörig betrachtet? An blühende Landschaften zu erinnern und an ihre Dankbarkeit zu appellieren, fruchtet ebenso wenig wie der Versuch, die Frauenemanzipation mit dem Verweis auf ihre bisherigen Erfolge abzufrühstücken. Diese Pflichtübung von Festrednern zu Jubiläen verfehlt regelmäßig ihren Zweck und kann daher getrost entfallen.
In meinen Augen braucht es dringend einen anderen deutsch-deutschen Austausch. Begegnung. Auf Augenhöhe, ehrlich, wertschätzend, lernend. Es braucht eine positive Erzählung für die Zukunft. Es geht schlicht um unsere Demokratie und die ist Grundlage für das Leben im friedlichen Miteinander und die Möglichkeit gemeinsam zu gestalten und etwas zu bewegen. Es braucht eine neue gesellschaftliche Klammer. Viele wissen wogegen sie kämpfen, was ihnen fehlt ist ein „Dafür“. Nationalstolz und Volkstümelei samt wehender Flaggen sind ganz sicher keine Antwort. Sich auf dem Boden des Grundgesetzes demokratisch einbringen und mitentscheiden dürfen, wäre nämlich ein Ausdruck eines wirklichen Lebens- und Gemeinschaftsgefühls.“