Bundesweite Erklärung der LINKEN Bildungspolitikerinnen und ‑politiker: Solidarität ist das Gebot der Stunde
Auf Vorschlag von Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag für Bildungspolitik, verständigten sich die Bildungspolitikerinnen und ‑politiker der LINKEN in Deutschland die folgende gemeinsame Erklärung:
Das Corona-Virus ist über uns hereingebrochen, ein unsichtbarer Gegner, der von heute auf morgen alles auf den Kopf stellt und unser aller Leben umkrempelt. Mehr denn je ist nun Politik gefragt. Sie muss Bedingungen schaffen, unter denen die Menschen den Kampf gegen das Virus aufnehmen und die sozialen Grundfunktionen aufrechterhalten können. Dabei gilt es, sich solidarisch zu verhalten und die soziale Spaltung unserer Gesellschaft nicht noch zu vertiefen. Als Linke Bildungspolitiker*innen können wir nicht hinnehmen, dass sich infolge der Krise die Ungerechtigkeit im Bildungssystem weiter verschärft. Dem muss unter den jetzigen Ausnahmebedingungen entgegengewirkt werden – materiell, finanziell und personell.
Schüler*innen lernen derzeit zu Hause. Sie bekommen Aufgaben zugeschickt, die sie in der häuslichen Umgebung erledigen sollen. Je nach Schule oder auch Lehrkraft variieren die Wege der Vermittlung: per Mail, über Messenger-Dienste oder schuleigene Portale, in die sich die Kinder und Jugendlichen einloggen können. Schüler*innen und Lehrkräfte müssen ihre eigenen elektronischen Geräte nutzen – wer keines hat, ist vom E‑Learning ausgeschlossen. Schule zu Hause findet in sehr unterschiedlichen teils belasteten Lebenssituationen statt: Schüler*innen betreuen jüngere Geschwister und sind mit familiären Stresssituationen konfrontiert. Sie leben in Ungewissheit darüber, wann und wie die Prüfungen stattfinden sollen und können, es fehlen häusliche Rückzugsorte zum Lernen, Lesen und Entspannen. Kinder, die zu Hause keine oder wenig Hilfe bekommen, drohen hinter den anderen zurückzubleiben. Das muss verhindert werden! Schule zu Hause ist „Krisen-Beschulung“. Die Wohnzimmer der Elternhäuser sind keine idealen Lernorte. Schule braucht die Professionalität von Lehrkräften, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen.
Familien im Hartz IV-Bezug sind in besonderer Weise von der Krise betroffen. Sie haben weniger Wohnraum, vielen Kindern fehlt ein eigenes Zimmer zum ungestörten Lernen oder ein Ort zum persönlichen Rückzug. Das Anrecht auf Bildung und Spielen im Sinne der UN-Kinderrechts-Konvention bleibt hier eine leere Worthülse. In häuslicher Enge steigt die Gefahr häuslicher Gewalt. Es fehlt an Geld und Möglichkeiten, Konflikte zu kompensieren und das gemeinsame Leben zu gestalten. Bereits vorhandene Probleme für gefährdete Kinder und Jugendliche werden durch die aktuelle Situation weiter verschärft. Und oft hat die Kinder- und Jugendhilfe keine Möglichkeit, die Familien aufzusuchen und effektiv zu helfen.
Die Corona-Krise zwingt uns, neue Wege zu beschreiten, für die oft die technischen, infrastrukturellen und konzeptionellen Voraussetzungen fehlen. Hier muss Politik unverzüglich ansetzen! Nicht überall gibt es schnelles Internet, nicht alle Schulen sind ausreichend vernetzt und nicht jeder Schüler besitzt ein brauchbares Endgerät. Außerdem fehlt es oft an pädagogischen Konzepten für das E‑Learning.
Angesichts der dramatischen Lage fordern wir:
Lernmöglichkeiten zu Hause verbessern, Abschlussprüfungen flexibel gestalten!
Das Anrecht auf einen eigenen häuslichen Rückzugsort für Schüler*innen muss in den Sozialgesetzen abgesichert werden, um die Bildungsbenachteiligung abzusenken.
Die Benotungen von Aufgaben, die in Heimarbeit erledigt werden, sind auszusetzen, um so einerseits die Chancengleichheit nicht zu gefährden und andererseits den bestehenden Druck für Schüler*innen und ihre Familien abzumildern.
Prüfungen sollten erst stattfinden, wenn der Gesundheitsschutz für Prüflinge und Prüfende gewährleistet ist und es eine bundesweit einheitliche, ausreichende Vorbereitungszeit gegeben hat. Bei Prüfungen bedarf es einer bundesweiten Regelung, um Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit sicherzustellen. Sollte es aufgrund der Krisenlage nicht möglich sein, Prüfungen stattfinden zu lassen, sollten die Noten für den Abschluss der allgemeinen Hochschulreife aus den Noten der letzten vier Semester der Gymnasialen Oberstufe berechnet werden.
Der Abschluss der Mittleren Reife sollte dann ebenfalls auf der Grundlage der erbrachten Leistungen im 10. Schuljahr zuerkannt werden.
Voraussetzungen für digitales Lernen schaffen!
Die digitale Ausstattung aller Schüler*innen muss gewährleistet werden, um der sozialen Ungleichheit, die seit Corona besonders stark wirkt, entgegen zu treten. Trotz aktuellem Krisenmodus muss die Bereitstellung von Computern, Laptops oder Tablets gesichert sein.
Wir erwarten, dass die Jobcenter aufgrund der drastischen Isolationsmaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen die digitale Lernteilhabe oder das häusliche Lernen durch internetfähige Geräte sicherstellen. Deshalb müssen Menschen, die im SGB II‑, SGB XII‑, AsylbLG-Bezug sind, Leistungen zum Kauf eines Laptops oder Computers gewährt werden. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür geben die Bestimmungen in SGB II § 21 Abs. 6 SGB II (Mehrbedarf), im SGB XII § 73 SGB XII und im AsylbLG § 6 AsylbLG (sonstige Leistungen) her.
Schnelles und überall verfügbares Internet gehört zur öffentlichen und sozialen Daseinsvorsorge. Jeder Haushalt hat ein Anrecht auf einen bezahlbaren und schnellen Breitbandinternet-Anschluss. Es bleibt Aufgabe der Politik, dafür schnellstmöglich Sorge zu tragen.
Kinder- und Jugendhilfe stärken!
Es braucht eine schnelle finanzielle Unterstützung für alle Bereiche, die Kinder und Jugendliche begleiten, ob Träger der Kinder-und Jugendhilfe, Vereine, Verbände, Kultur-und Sporteinrichtungen. Sie müssen in diesen schwierigen Zeiten ihre Arbeit fortsetzen können, ohne Angst vor dem wirtschaftlichen Aus.
Gerade jetzt brauchen die Familien, die ohnehin jenseits von Krisenzeiten in belasteten und konfliktreichen Verhältnissen leben, zuverlässige Unterstützung. Gefährdete Kinder und Jugendliche benötigen vordringlichen Schutz. Die Kinder- und Jugendhilfe muss in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben vollumfänglich zu erfüllen.
Derzeit ist es für viele Mitarbeiter*innen unterschiedlicher Träger schwer, die Familien zu beraten und aufsuchende Sozialarbeit zu realisieren. Doch daran muss weiter festgehalten werden. Dabei muss der Gesundheitsschutz für alle Mitarbeiter*innen gewährleistet und finanziert werden.
Unterzeichner*innen:
Sabine Boeddinghaus (Fraktionsvorsitzende, Fachsprecherin für Bildung, Schule, Familie, Jugend Linksfraktion Hamburg)
Gunhild Böth (Sprecherin Landesarbeitsgemeinschaft Bildung DIE LINKE NRW)
Dr. Birke Bull-Bischoff (bildungspolitische Sprecherin Linksfraktion im Bundestag)
Kathrin Dannenberg (Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin Linksfraktion Brandenburg)
Daniela Grondey (Sprecherin Landesarbeitsgemeinschaft Bildung Baden-Württemberg)
Doreen Hildebrandt (berufsbildungspolitische Sprecherin Linksfraktion Sachsen-Anhalt)
Regina Kittler (stellvertretende Fraktionsvorsitzende, bildungspolitische Sprecherin Linksfraktion Berlin)
Elisabeth Kula (Sprecherin für Jugend, Schule und Bildung Linksfraktion Hessen)
Thomas Lippmann (Fraktionsvorsitzender und bildungspolitischer Sprecher Linksfraktion Sachsen-Anhalt)
Sonja Neuhaus (bildungspolitische Sprecherin Landesvorstand DIE LINKE NRW)
Luise Neuhaus-Wartenberg (bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion Sachsen, 3. Vizepräsidentin Sächsischer Landtag)
Simone Oldenburg (Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin Linksfraktion Mecklenburg-Vorpommern)
Barbara Spaniol (bildungspolitische Sprecherin Linksfraktion Saarland)
Torsten Wolf (Vorsitzender Bildungsausschuss und bildungspolitischer Sprecher Linksfraktion Thüringen)