Keine Region aufgeben! Produktivität ist nicht das alleinige Kriterium für Lebensqualität

Zur Studie des Leib­niz-Insti­tuts für Wirtschafts­forschung Halle über Pro­duk­tiv­ität­sun­ter­schiede in Ost und West erk­lärt Luise Neuhaus-Warten­berg, Sprecherin für Mit­tel­stand, Handw­erk und Touris­mus sowie Koor­di­na­torin der AG Ost der Frak­tionsvor­sitzen­denkon­ferenz:

So so, die Betriebe im Osten sind klein­er, die Pro­duk­tiv­ität geringer und die Konz­ernzen­tralen befind­en sich fast auss­chließlich im West­en. Also alles beim Alten! Das immer wieder sta­tis­tisch festzuhal­ten, ist gewiss sin­nvoll. Alle Maß­nah­men der Wirtschaft­spoli­tik haben offen­bar an den Unter­schieden zwis­chen Ost und West grundle­gend nichts geän­dert. Daraus aber den Schluss zu ziehen, ländliche Regio­nen kön­nten aufgegeben wer­den, zeugt von poli­tis­ch­er Ahnungs- und Gefüh­llosigkeit. Es reicht nicht, eine einzige sta­tis­tis­che Größe zum förder­poli­tis­chen Kri­teri­um zu machen. Regio­nen sind keine Unternehmen, in denen auss­chließlich betrieb­swirtschaftliche Maßstäbe gel­ten und unrentable Abteilun­gen abgestoßen wer­den kön­nen. In Regio­nen wird nicht nur gear­beit­et, son­dern vor allem gelebt. Pro­duk­tiv­ität sagt nichts über die Leben­squal­ität aus. Sich bloß darauf zu stützen ignori­ert, wie die Men­schen in den Regio­nen ihr Leben meis­tern. Diese Igno­ranz macht wütend.

Der Gott des Wach­s­tums und die Finanzmärk­te sollen es also vor­rangig richt­en. Das ist wed­er  neu noch zeit­gemäß. Vor allem aber wird es den sozialen Her­aus­forderun­gen, ger­ade in Ost­deutsch­land, nicht gerecht. Die Ergeb­nisse der Studie sind doch vor allem der Sargnagel der Wirtschafts- und Bil­dungspoli­tik der CDU seit 1990. Niedriglöhne, Ansied­lungssub­ven­tion ohne belast­bare soziale Kri­te­rien, Kürzun­gen in Bil­dung und Forschung haben viel Poten­tial ver­spielt und ger­ade junge Men­schen förm­lich gezwun­gen, den Osten zu ver­lassen.

Ich plädiere für die Anerken­nung der Lebensleis­tung in den Regio­nen und dafür, in allen Regio­nen gle­ich gute Lebens­be­din­gun­gen anzus­treben. Dafür muss eine intak­te und soziale, tech­nis­che und kul­turelle Infra­struk­tur erhal­ten und aus­ge­baut wer­den. Anstatt die Ver­wahrlosung ländlich­er Räume zu propagieren, hätte ich mir vom IWH mehr Hin­ter­fra­gen gewün­scht. Es müssen prag­ma­tis­che Lösun­gen her, etwa Rah­menbe­din­gun­gen, die Kom­munen und lokalen Unternehmen unbürokratis­cheren Zugang zu För­der­mit­teln ermöglichen. Auch 5G an jed­er Milchkanne gehört dazu. Regionale und gren­züber­schre­i­t­ende Koop­er­a­tio­nen sind zu fördern, um die Wertschöp­fungs­ket­ten vor Ort zu verbessern. Die örtliche Infra­struk­tur (ana­log und dig­i­tal) muss aus­ge­baut wer­den, Unternehmen und Kom­munen soll­ten stärk­er kooperieren. Und ja, dazu braucht es aus­re­ichend Schulen und eine gute Kinder­be­treu­ung. Es ist keine neue Erken­nt­nis, dass sich Glob­al Play­er nicht mehr in den neuen Län­dern ansiedeln wer­den. Also müssen kleine Unternehmen unter­stützt wer­den – auch durch soziale Absicherung, die unternehmerisches Scheit­ern nicht stig­ma­tisiert, son­dern das Recht auf eine neue Chance ein­räumt.